1940 | Juin (1940-1942)
Flucht vor deutschen Truppen
Anfang des Jahres erscheinen unter dem Titel „Sous les Signes du Zodiaque“ 12 Holzschnitte; am 13. Juni fliehen Masereel, seine Frau, die Frau von Jean Richard Bloch, deren Tochter und die Tochter von Thea Sternheim gemeinsam zu Fuß aus Paris vor den anrückenden deutschen Truppen in den Süden; Masereel läßt sich schließlich in Avignon nieder.
Masereel 1953 über die Flucht
“Das war im Juni 1940. Große Massen bewaffneter Männer überfluteten Städte und Landschaften und brennende Häuser, Tod und Verderben blieben hinter ihnen zurück. Teuflische Maschinen, eine immer mörderischer als die andere, führten sie mit sich und betätigten sie in den Lüften wie auf dem Meer, auf der Erde wie unter der Erde. Und das alles hatte nur den einen Zweck: zu töten. In größter Eile mußten Gräber geschaufelt werden und in weiten Gebieten unserer Erde füllten sich die Friedhöfe mit beängstigender Geschwindigkeit. (…) Mit meiner Frau war ich auf den Landstraßen verloren in einer riesigen Menge von Frauen, Kindern, Männern, Greisen und Soldaten, die mit Fahrzeugen aller Art, Kanonen und Tieren ein chaotisches Durcheinander bildeten. Mit Worten mag ich es nicht beschreiben – mit meinem Zeichenstift versuchte ich es damals zuweilen. Dieser endlose Zug floh vor den Feuersbrünsten, vor den von allen Seiten, von oben und unten, hinten und vorne kommenden Salven, mit denen der Tod großzügig seine Ernte einbrachte. Dieses schaurige Drama muß mich zutiefst beeindruckt haben … denn so weit mein beschwerlicher Weg mich führte, machte ich, wenn immer ich nur ein wenig Schutz vor dem wütend einschlagenden Geschützfeuer hatte, kleine Skizzen: in den Gräben, hinter den Mauern eingeäscherter Gutshöfe, zwischen menschlichen Leichen und Tierkadavern. Sobald ich in eine kleine Stadt kam und dort Papier und chinesische Tusche vorfand – einen kleinen Pinsel hatte ich selbst in meiner Tasche -, ging ich daran, größere Zeichnungen zu machen, weil es mir darum zu tun war, ein gedrängtes Zeugnis dessen, was ich gesehen und verstanden, empfunden und gedacht hatte, auf Papier zu bringen, um, ohne Rücksicht auf künstlerische Erwägungen, wenigstens eine allgemeine Vision dieser verfluchten Zeit unmittelbar zu vermitteln.” (“Über die Entstehung der ‘Apokalypse unserer Zeit’”, in: Die Apokalypse unserer Zeit, Wiesbaden 1953).