1926 | Bilder der Großstadt
1926 | Figures et grimaces
Ausstellungen in Moskau, Paris, Berlin
Für den Kurt Wolff Verlag illustriert Masereel Charles de Costers „Geschichte von Ulenspiegel und Lamme Goedzak“ mit 150 Holzschnitten; ebenfalls bei Kurt Wolff erscheinen die ersten beiden Volksausgaben der Bilderromane „Mein Stundenbuch“ und „Die Sonne“; im Carl Reissner Verlag in Dresden die Zeichnungssammlung „Bilder der Großstadt“; in Paris und München Veröffentlichung der 60 Holzschnitte „Figures et Grimaces“/“Gesichter und Fratzen“; Ausstellungen in Moskau, Paris, Winterthur und bei Alfred Flechtheim in Berlin.
Brief an Romain Rolland vom 2. Januar
“Habe ich Ihnen gesagt, dass Lunatscharski gekommen ist, meine Werke anzuschauen! Er war sehr begeistert und hat mich stark gedrängt nach Rußland zu gehen, um … die Verbindung von Gedanke und Form in der bildenden Kunst zu lehren! Es scheint, diese Verbindung fehlt den Künstlern dort vollständig und dass die Maler dort im allgemeinen entweder in die Literatur oder in die Abstraktion geraten. Ich war sehr berührt davon, und eine kleine Reise dorthin reizt mich sehr, aber unterrichten, was auch immer es sei, reizt mich überhaupt nicht. Ich glaube, alles wird sich auf eine Ausstellung beschränken, die ich in Moskau machen werde.” (Paris, Bibliothèque Nationale)
Romain Rolland über Masereels Illustrationen zur „Geschichte von Ulenspiegel“
“Hier findet sich nun der de Costers Helden am Nächsten Stehende ein: Der Genter Masereel, der Nachbar des Ulenspiegel aus Damme, ist sein Bruder durch den nicht zu zügelnden Unabhängigkeitssinn, durch den stürmenden Schwung seiner Athletennatur, durch den Lebenshunger, den nichts zu sättigen vermag, durch das herrische Genie, das zugreifend der Natur sein eigenes Gepräge aufdrückt, das zugleich tragisch und sarkastisch ist. Denn auch bei ihm finden sich die zwei entgegengesetzten Elemente verbunden vor, die für die ‘Legende von Ulenspiegel’ bezeichnend sind: ungeheuerlich Possenhaftes und die finsteren Dämonen der Seele: unerbittliche Gewaltsamkeit und schwere Melancholie.” (Charles de Coster, Die Geschichte von Ulenspiegel, München 1926, S. XXXIII – XXXIV)
Thomas Mann
“Der Krieg hat eine geistige Figur, ein Organ des öffentlichen Gewissens aus ihm gemacht. Folglich ist er ein Revolutionär? – Ich muß hoffen, dass das kleine Zögern, mit dem ich die Frage bejahe, nicht mißverstanden wird, denn selbstverständlich ist sie zu bejahen. Ich sagte ja schon, dass Masereels Kunst unsere Zivilisation anklagt und richtet, und ich sagte auch, dass, wenn sie an den Mißbildungen des Lebens und der Gesellschaft Kritik übt, sie es aus dem natürlichsten und freiesten menschlichen Gefühls, aus Künstlertum mit einem Worte, und nicht aus ideeller Verbissenheit tut. Mir ist, als ob ihm zum reinen und richtigen Revolutionär etwas fehlte, zum politischen Heilspropheten, der notwendig ein Ideenmonomane ist, ein Mann der Lehre und Gewalt, der genauen Rat weiß und ihn, unbesorgt über die Kosten, in Tat umzusetzen strebt. Ich glaube nicht, dass Masereel solchen handgreiflichen Rat weiß oder auch nur, dass es seine Sache und Aufgabe wäre, einen zu wissen. Er hat zwar in symbolischen Bildern die tragikomische Geschichte einer Idee erzählt – aber welcher Idee wäre er verschworen als derjenigen redlichen und freien Menschentums? Es wird nicht glaubhaft beim Durchblättern des ‘Stundenbuches’, dass er, dessen Wesen sich dann als weltkindliche Sympathie entfaltet, die Idee als Fanatismus, Diktatur, Seelensklaverei kennt und will. Und indem ich diesem Unglauben Ausdruck gebe, ist es mir wieder und immer noch um die Psychologie des Vertrauens zu tun, zu deren Entwicklung ich weiter oben schon ansetzte, und die ich zu ergänzen suche durch die Vermutung, die fast einer wirklichen Erfahrung und Feststellung gleichkommt, dass heute das Vertrauen der Menschen auch gar nicht den Besessenen und Fanatikern der Idee gehört, nicht denen, die in Blut zu waten bereit sind um des Gottesstaates willen, allzu bereit, reinen Tisch zu machen und zwei Drittel der Menschheit daran zu geben, damit das letzte Drittel kommunistisch sei.” (Einleitung zur Volksausgabe des “Stundenbuchs”, München 1926, S. 24 – 26)
Max Herrmann-Neiße
“Das ‘Stundenbuch’ hat eine Einführung von Thomas Mann, eine Einführung, die gewiß kunstvoll, geistig, in den Formulierungen glücklich ist, auch schlichter das Wesentliche betont, dass es um Menschenwert und Vertrauenswürdigkeit geht, schließlich die beste Formel für Masereels Kern in dem Ausdruck ‘weltkindliche Sympathie’ findet, und dennoch immer wieder eine fälschliche Rehabilitierung im offiziellen Sinne versucht, wenn sie Masereel als unpolitischen, in der Wolke einer allgemeinen, nicht zu fassenden Überlegenheit schwebenden Freigeist plausibel machen will.” (Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst, Frankfurt a.M. 1988, S. 437)
Carl Georg Heise: „Kann neuere Kunst volkstümlich werden?“
(Masereel) ist typisch für den bereits kurz gekennzeichneten Wendepunkt der künstlerischen Entwicklung zu größerer Volkstümlichkeit – und mehr: er ist der einzige wahrhafte Künstler unter den Lebenden, dessen Werk heute schon als volkstümlich bezeichnet werden kann. Zweierlei ist im tragikomischen Sinne charakteristisch für unsere Zeit: dass die Werke dieses Volksmeisters bisher nur in Luxusausgaben auf Japanpapier und mit Ledereinband erschienen sind – und, dass Bedenken gegen diese Kunst in erster Linie von den offiziellen Kunstförderern geäußert zu werden pflegen, die gegen alles mißtrauisch geworden sind, was leicht fällt. Gottlob ist indessen Masereels Gefälligkeit nicht von jener seichten Art, die rasch erobert, aber einen faden Geschmack zurückläßt – und gottlob verlieren seine Holzschnitte nichts von ihrer Wirksamkeit, wenn sie auf Zeitungspapier anstatt auf Japan gedruckt sind.” (1927. Ein Almanach für Kunst und Dichtung aus dem Kurt Wolff Verlag, München 1926, S. 37/38)
Brief Carl Sternheims vom 7. Dezember
“Lieber Frans, Dein Buch ‘Bilder der Großstadt’ ist fabelhaft und ich beglückwünsche Dich dazu, alter Knabe. Das ist zeitgemäß, ist essentiell und lohnt, mit Dir eng befreundet zu sein. Dass Du Vincent liebst, ist ein schönes Bekenntnis (…).” (Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar)